Die Bornheimer Vereinslegende wäre heute 100 Jahre alt geworden
Für den FSV Frankfurt spielten schon viele großartige Fußballer. Vincenzo Grifo, Mathew Leckie oder Taiwo Awoniyi um nur einige wenige aus den letzten Jahren der Zweitligazeit zu nennen. Auch wenn viele noch am Hang von der Fangemeinde noch heute verehrt werden, den Stellenwert von Richard Herrmann erreicht keiner dieser Spieler. Die Bornheimer Vereinslegende und Weltmeister von 1954 wäre heute 100 Jahre alt geworden.
Richard Herrmann erblickte am 28. Januar 1923 in Katowice (Kattowitz in Schlesien) im heutigen Polen das Licht der Welt. Schon früh entdeckte er seine Leidenschaft für den Fußball, mit elf Jahren trat er 1934 dem 1.FC Kattowitz bei und fand seine Heimat auf dem Spielfeld im Mittelfeld und vor allem im Sturm. Sein erstes Seniorenspiel absolvierte Herrmann in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs, ebenfalls für 1. FC Kattowitz. Und wie viele junge Männer wurde auch Herrmann noch spät als „letztes Aufgebot“ zum Wehrdienst herangezogen und musste an der Westfront kämpfen. Dort geriet er dann in englische Kriegsgefangenschaft. Zwei Jahre verbrachte Richard Herrmann in einem Internierungslager in der Nähe der englischen Stadt Derby. Die Fesseln der Gefangenschaft konnten seine Leidenschaft, den Fußball, nicht schmälern, so kickte er zusammen mit anderen Gefangenen beinahe täglich im Hof des Internierungslagers. Wie es das Schicksal wollte, wurden Scouts von Derby County auf den jungen Schlesier aufmerksam und wollten den Offensiv-Spieler verpflichten. Diesem Plan schob der englische Fußballverband allerdings einen Riegel vor, da die Football Association Richard Herrmann keine Spielgenehmigung erteilte.
Von England nach Frankfurt
1947 wurde Herrmann aus der Gefangenschaft entlassen. Seine schlesische Heimat in der neu gegründeten Volksrepublik Polen, mittlerweile von der damaligen Sowjetunion besetzt, hatte er verloren, so schloss er sich zusammen mit dem ebenfalls inhaftierten Werner Blechschmidt einem weiteren Mitgefangenen, dem Frankfurter Buchdrucker Alfred Ludwig, an und ließ sich im schönsten Stadtteil Frankfurts nieder. Noch im gleichen Jahr schnürte Richard Herrmann, wie auch Werner Blechschmidt, seine Fußballstiefel für den FSV Frankfurt. Seinen ersten Einsatz im schwarz-blauen Dress der Bornheimer absolvierte Richard Herrmann am 14. September 1947 gegen den FC Bayern München in der Oberliga Süd. Es sollten in den nächsten dreizehn Jahren noch 319 weiter Einsätze dazukommen. Dabei traf Richard Herrmann genau einhundertmal ins Tor der Gegner. Herrmanns Qualitäten mit und ohne Ball waren besonders. Zum einen war er ein hervorragender Techniker und beherrschte das Spielgerät wie kein Zweiter. Nur wenige Spieler in der damaligen Zeit hatten einen so starken linken Fuß wie Herrmann. Zum anderen war er schnell. Sehr schnell: „Er war mit Ball schneller als die meisten ohne“ beschrieb sein Sohn Horst Herrmann seinen Vater in einem Zeitungsinterview. Zudem war Herrmann auf dem Platz auch ein Kämpfer, gab kaum einen Ball verloren und zog so seine Mitspieler regelrecht mit. Mit diesen, seinen Fähigkeiten beschwor er den „Bornheimer Geist“ herauf: Die Oberliga-Mannschaft des FSV Frankfurt war zu dieser Zeit als Kampfmannschaft, die kein Spiel verloren gab und immer an den Erfolg glaubte, bekannt und berüchtigt.
Sepp Herberger (li.) im Gespräch mit Richard Herrmann und Alfred Pfaff (mi.) beim Lehrgang vor der WM 1954
Richard Herrmann war nach dem Krieg der erste Frankfurter Fußballer, der vom damaligen Bundestrainer Sepp Herberger für die Nationalmannschaft nominiert wurde. Herberger wurde in einem Repräsentativspiel im Frankfurter Waldstadion zwischen Süd- und Westdeutschland auf den Außenstürmer aufmerksam, besonders hat Sepp Herberger wohl auch Herrmanns Fairness gefallen: Nach einem vom Schiedsrichter anerkannten und durch ihn erzieltes Tor ging Herrmann auf den Unparteiischen zu und beichtete, dass er den Ball mit der Hand gespielt hatte. Fortan hatte er die Zuschauer auf seiner Seite, das Publikum feierte ihn für diese Geste. Zehn Tage später, am 22. November 1950, gab Richard Herrmann im ersten Länderspiel Deutschlands nach dem Krieg in Stuttgart sein Debut im Trikot der Nationalmannschaft. Zusammen mit unter anderem Max Morlock und Ottmar Walter bildete er die Stürmerreihe der deutschen Nationalelf, der Gegner war die Schweizer Nati. Es folgten weitere Einsätze in der DFB-Elf, unter anderem bei den Spielen gegen die Türkei, Österreich, Irland. Auch im WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen am 22. November 1951, auf den Tag genau ein Jahr nach seinem Nationalmannschaftsdebut, stand Herrmann auf dem Platz, an der Seite von Helmut Rahn. Bei der Weltmeisterschaft 1954 kam Herrmann allerdings nur auf einen Einsatz: Beim 3:8 gegen Ungarn, der damaligen Übermannschaft, erzielte Herrmann mit dem Treffer zum 3:8 Endstand sein einziges Tor für die DFB-Elf. Das Finale, ebenfalls gegen Ungarn, verfolgte Herrmann nur von der Tribüne aus, Ein- und Auswechslungen sahen die damaligen Regularien noch nicht vor. Als Weltmeister kam Herrmann dann nach Bornheim zurück. Bislang ist Richard Herrmann der einzige Spieler des FSV, der diesen Titel gewonnen hat.
Der FSV Frankfurt gratuliert in der vereinseigenen Zeitung „Vereins-Nachrichten“ Richard Herrmann zur Verleihung des „Silbernen Lorbeerblatts“ durch Bundespräsident Theodor Heuss
Schwarz und Blau ein Leben lang
Bis 1960 schnürte Richard Herrmann noch seine Fußballstiefel und stellte in Bornheim zugleich seine Vereinstreue unter Beweis, denn er trug in dieser Zeit nur das schwarz-blaue Trikot des Frankfurter Stadtteilvereins. Auch ein hochdotiertes Angebot aus Turin konnte ihn nicht aus seiner neuen Frankfurter Heimat locken: Der AC Turin bot Herrmann ein Handgeld von 60.000 Mark, für die damalige Zeit eine horrende Summe, doch Herrmann blieb bei seinem FSV Frankfurt in Bornheim. Sein letztes Spiel für den Fußballsportverein bestritt Richard Herrmann am 11. Oktober 1959 gegen den Karlsruher SC, bei dem er sich eine schwere Knieverletzung zuzog, von der er sich nicht mehr erholte und die ihn 1960 dazu zwang, seine fußballerische Karriere zu beenden. Auch wenn er kein Fußball mehr spielte, Richard Herrmann blieb durch und durch ein Schwarz-Blauer. Mit seiner Familie besuchte er am Bornheimer Hang regelmäßig die Sportveranstaltungen anderer FSV-Abteilungen wie Feldhandball oder Boxen beispielsweise. Für ein Einkommen nach dem Fußball war auch gesorgt: Herrmanns Schwiegereltern betrieben einen Lotto-, Tabak- und Zeitschriftenladen, in dem er mit seiner Frau Lilo schon während der Karriere aushalf. Später dann eröffnete er mit seiner Gemahlin und durch Unterstützung des FSV Frankfurt seinen eigenen Tabakladen auf der Berger Straße in der Nähe des Uhrtürmchens. Schnell gehörte es in Bornheim zum Ritual, sich bei Tabak-Herrmann auf der Berger sonntags die „Schwarze Nachtausgabe“ mit den aktuellen Sporterlebnissen zu holen und diese Ergebnisse zu diskutieren. Bis 2022 führten Herrmanns Söhne Horst und Rolf das Geschäft weiter, noch heute ziert ein Graffiti mit dem Konterfei Herrmanns den Rollladen der Eingangstür, es mag nur wenige Bornheimer geben, die nicht wissen, welcher Bornheimer Star nach Ladenschluss das Treiben auf der Berger beobachtet.
Im Vergleich zur heutigen Zeit waren die Gehälter damals noch überschaubar, wir Richard Herrmanns Gehaltszettel belegt
Zu früh von uns gegangen
Leider konnte Richard Herrmann sein Leben nach dem Fußball nur kurz genießen. Mit 39 Jahren verstarb der Ausnahme-Fußballer am 27. Juli 1962 an einer Leberzirrhose in Folge einer nicht ausgetragenen Gelbsucht. Vieles spricht dafür, dass diese Zirrhose eine Folge des Dopings während der Weltmeisterschaft 1954 war. Eine Reihe von Nationalspielern hatte sich zur Leistungssteigerung Vitamin C injiziert, alle mit demselben Spritzbesteck, so auch sein Mitspieler Helmut Rahn. Kurz vor seinem Tod hat Richard Herrmann im Krankenhaus davon erzählt, dass 1954 wahrscheinlich Helmut Rahn das Hepatitis-Virus von einer Südamerikareise mitgebracht hatte. Unter großer Anteilnahme wurde Richard Herrmann auf dem Bornheimer Friedhof beigesetzt. An der Trauerfeier nahmen alle Spieler und auch der Nationalmannschaft von 1954 sowie der damalige Trainer Sepp Herberger teil.
Nicht nur einmal zierte Richard Herrmann das Titelbild der „Vereins-Nachrichten“ des FSV Frankfurt
Für seine sportlichen Erfolge wurde Richard Herrmann 1954 mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet. Zudem war Richard Herrmann Ehrenringträger und Ehrenspielführer des FSV Frankfurt. Im Zuge des Stadionumbaus wurde der Platz vor der Südtribüne, dem Heimbereich der FSV-Fans, nach dem Weltmeister von 1954 umbenannt. Eine außergewöhnliche Ehrung erfuhr Herrmann posthum durch den Frankfurter Mundart-Sänger Rainer Weisbecker: In seinem Song „Ein Traum in schwarz und blau“ über den FSV Frankfurt heißt es im Refrain: „Richard Herrmann, so hieß unser Held, 54 bei den besten von der Welt…“ Damit hat Rainer Weisbecker keinesfalls Unrecht, denn für beinahe jeden Anhänger*in des FSV ist und bleibt Richard Herrmann DAS Idol und Vorbild.